PETER LIECHTI (1951-2014)
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Peter Liechti, Schweizer Kameramann und Regisseur, dreht seit siebzehn Jahren Filme. In grösserem Kreis bekannt geworden ist er mit «Signers Koffer», einem Dokumentarfilm-Essay über den Appenzeller Aktionskünstler Roman Signer.

STEHPLATZ
sprach mit Liechti unmittelbar nach Abschluss der Dreharbeiten zu «Marthas Garten», seinem ersten Spielfilm.

Peter Liechti, Sie haben eben die Dreharbeiten zu «Marthas Garten» Ihrem ersten Spielfilm abgeschlossen. Wie fühlen Sie sich?
Ich bin noch nicht ganz hier. Ich stecke noch in der Leere nach dem Taumel eines achtwöchigen Drehs. Und ich frage, mich was ich da eigentlich erlebt habe. Ich hatte wunderbare Schauspieler, wir waren ein hervorragendes Team, und nur schon die Tatsache dass wir acht Wochen miteinander funktioniert haben, beeindruckt mich sehr.

Was bedeutet Ihnen, Filme zu drehen?
Filmemachen hat für mich - wie jede Kunst - etwas mit Bewältigung zu tun, mit Sehnsucht.

Was bewältigen Sie denn?
Meist einen Abschied, eine Trennung, ein Weggehen. Nicht von einer Person, sondern von einer Zeit, einer Periode, einem Lebensabschnitt. «Signers Koffer», zum Beispiel, war für mich eine Zusammenfassung der Zeit, in der ich mich mit der bildenden Kunst auseinandersetzte, und auch eine Beschäftigung mit dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin.

Wenn man Ihre Filme anschaut, fällt auf dass Sie sich immer wieder mit «Käuzen» beschäftigen, Künstlern, wie Roman Signer oder dem koreanischen Videokünstler Nam June Paik, die sich extremer Darstelltungsformen bedienen. Was fasziniert Sie an diesen Menschen?
«Käuze» ... Ich denke, alle Menschen, die sehr weit gehen, wirken in unserer Gesellschaft leicht kauzig, weil sie auffallen. Vielleicht aber können Menschen, die manisch ihre eigenen Grenzen ausloten, eher gewisse Facetten der Wahrheit erhaschen.

Sie arbeiten als Kameramann und Regisseur. Das sind eigentlich zwei verschiedene Seiten der gleichen Medaille.
Grundsätzlich komme ich vom Bild her - und für mich ist Kameramann der schönste Job auf dem Set. Das ist lustvoll, spannend, da passiert etwas. Regie ist nüchterner, einer muss das einfach übernehmen. Wirklich mühsam finde ich nur den Job des Produzenten.

Sie haben bei Ihren eigenen Filmen immer sowohl Kamera als auch Regie gemacht?
Bis auf meinen ersten Film, da wusste ich noch nicht, welch tolle Möglichkeiten die Kamera bietet. Und meinen letzten: Für «Marthas Garten» habe ich Werner Penzel als Kameramann engagiert.

Sie machen Dokumentar- und Spielfilme. Worin liegt für Sie der Unterschied?
Ich mache keine typischen Dokumentarfilme - vielleicht eher sogenannte «Essays». Sie entstehen aus einem Geflecht von Schreiben, Denken, Musik und Bild. Der dokumentarische Charakter ergibt sich einzig dadurch, dass ich statt mit Schauspielem mit Protagonisten und realem «Dekor» arbeite. Von den Dreharbeiten her ist die Arbeit an einem Dokumentarfilin oft viel lustvoller als bei einem Spielfilm. Es entsteht dabei eine Art Jagdgefühl.

Ähnlich wie beim Fotografieren?
Genau. In meinen Dokumentarfilmen bin ich ein Jäger, ein Forscher. Beim Spielfilm ist man eher ein Bauer, der darauf aus ist, dass das Heu unter Dach kommt.

Für Sie ist das Drehen eines Dokumentarfilms also mindestens so spannend wie das eines Spielfilms. Spielfilme geniessen allgemein aber sehr viel grössere Anerkennung als Dokumentarfilme ...
Sicher, wenn man in den Medien gross rauskommen will, muss man einen Spielfilm machen.

Was ist am Spiefilm denn reizvoll?
Spannend daran ist, eine Fiktion von Anfang bis Schluss durchzudenken und umzusetzen, ohne dass mir jemand hineinredet.

Spielfilme sind Fiktion, erzählen Geschichten. Was bedeutet das Für Sie?
Ich lebe intensiv, erlebe Geschichten, und ich will Geschichten verarbeiten. Eine der Schwierigkeiten der Schweizer Spielfilme ist, dass ihnen oft das persöhnliche Moment fehlt. Es fehlt der Input, es passieren keine Katastrophen - aber auch nicht das Gegenteil davon. Zudem muss noch während der Arbeit am einen Film schon das Projekt für den nächsten eingereicht werden. Ausserhalb dieses Kreislaufs ereignen sich kaum mehr grosse «Abenteuer». Schliesslich gehen die übriggebliebenen Geschichten auf dem Weg durch die Gremien verloren - irgendwo zwischen der dritten und der fünften Drehbuchfassung.

Wie steht es mit der Finanzierung Ihrer Filme?
Ich meine immer es sei schrecklich - doch im Vergleich mit meinen Kollegen geht's mir gut. Ich könnte nie drei, vier Jahre auf die Finanzierung eines Films warten. Für mich lässt sich das Engagement für ein Thema nicht so lange aufschieben ...

In Ihrem neusten Film, «Marthas Garten», erzählen Sie - wie ich dem Pressedossier entnehme - eine «dunkle Liebesgeschichte», in der ein etwas vereinsamter Mann einer Frau von rätselhafter Schönheit begegnet. Die Liebe zu dieser Frau wirft ihn aus der Bahn, setzt in ihm verborgene Dämonen frei, verschiebt seine Wahrnehmungen. Was hat es damit auf sich?
Es gibt den Ausdruck «Sich ein Bild von etwas machen» - und eigentlich illustriert der Film exakt dies. Wir versuchen die Entwicklung einer Wahrnehmungsverschiebung festzuhalten, indem wir in die Subjektive des Protagonisten gehen. Banalisiert kann man sagen, es sei die Geschichte einer zunehmenden Paranoia. Deren Umsetzung hat sehr viel mit Bildern zu tun. Diese Bilder abzugeben war für mich sehr schwierig. Doch ich habe in Werner Penzel jemanden gefunden, der diese Aufgabe ganz wunderbar löste - der nicht mein Alter ego war, sondern selbstständig arbeitete und eine eigene Sichtweise enwickelte.

In den Presseunterlagen wird «Marthas Garten» als «surrealistischer Thriller» bezeichnet.
«Surrealistisch» ist eigentlich ein blödes Wort, das könnte man weglassen. Es gibt immer mehrere Realitäten, und die Wahrnehmung der Realität ist immer verzerrt.

Die Realität ist das, was jemand wahrnimmt?
Es geht hier um die Realität des Films, und das hat mit der eigentlichen Wirklichkeit sehr wenig zu tun. Film ist flach, folgt eigenen Zeit-Raum-Gefügen ... Ich staune immer wieder, wie willig sich der Zuschauer da täuschen lässt.

Der Mensch glaubt halt gerne das, was er sieht.
Ich weiss es nicht ... Ich versuche Filme als Chiffre, Zeichen zu machen. Ein Film transportiert Ideen, gibt Vorschläge. Ich finde nichts schlimmer als amerikanische Filme, die auf Simulation von Realität aus sind. Da reagieren die Zuschauer naiv wie beim heranrasenden Zug im ersten Film von Méliès; diese Art «Sensation» interessiert mich wenig. Ich suche aktuelleres Vergnügen.

Aber wollen die Menschen im Kino nicht träumen und lachen?
Der Film kommt aus den Schaubuden der Jahrmäkte und ist im Begriff, wieder dorthin zurückzukehren. Ich muss das nicht noch unterstützen.

Bei «Signers Koffer» lachen die Menschen ...
Das freut mich , aber ich hoffe, dass sie dabei den Verstand nicht auszuschalten brauchen.

Was darf man denn nun von «Marthas Garten» erwarten?
So genau weiss ich das nicht. Denn eigentlich gibt es für mich keinen Unterschied zwischen einem meiner filmischen Essays und diesem Spielfilm. Das Drehbuch ist eine Versuchsanordnung, was daraus wird, ist noch offen.

 

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 Books, Editions 
»Peter Liechti – DEDICATIONS« (Scheidegger&Spiess Zürich, 2016)
Peter Liechti: »Klartext. Fragen an meine Eltern« (Vexer Verlag St.Gallen, 2013) *)
Peter Liechti: »Lauftext - ab 1985« (Vexer Verlag St.Gallen, 2010) *)
Peter Liechti: Waldschrat. Sechsteilige Fotoserie (Vexer Verlag St.Gallen, 2011)

 By Peter Liechti 
Carte Blanche Peter Liechti (Jahresbericht ARF/FDS 2011; deutsch)
Carte Blanche Peter Liechti (Rapport annuel ARF/FDS 2011; français)
«Viel zu wenige Künstler stürzen ab» (Peter Liechti im Gespräch mit Marcel Elsener)
»Kinodokumentarfilm – Fernsehdokumentarfilm« – Text zur Rencontre ARF/FDS 2006 von Peter Liechti
«Le documentaire de cinéma – le documentarie de télévision» – Texte pour la Rencontre ARF/FDS 2006 de Peter Liechti
Es boomt um den Schweizer Film, von Peter Liechti, Neue Zürcher Zeitung, 30.Juni 2000
Dunkle Stirnen, helle Geister, von Peter Liechti, Tages Anzeiger, September 1997

 About Peter Liechti 
Von Menschen und Hasen (Alexander Weil in www.literaturkritik.de)
Im weitesten Winkel (Bert Rebhandl in FRIEZE)
The Wanderer (Bert Rebhandl in FRIEZE)
Die Kunst des Abschieds (Christoph Egger, Ansprache Gedenkfeier St.Gallen
Konfrontationen mit dem innern Dämon (Christoph Egger, Nachruf in der NZZ)
Der Einzel-, Doppel- und Dreifachgänger (Christoph Egger, Filmbulletin 1/2014)
Im Luftschiff mit Peter Liechti (Tania Stöcklin, Katalog Solothurner Filmtage 2014)
En dirigeable avec Peter Liechti (Tania Stöcklin, Catalogue Journées de Soleure 2014)
Open-Ended Experiments (Matthias Heeder, Katalog DOK Leipzig 2013)
Offene Versuchsanordnung (Matthias Heeder, Katalog DOK Leipzig 2013)
Peter Liechti, Sismographe (Bernard Tappolet, Le Courrier, 3 septembre 2011)
Laudatio auf Peter Liechti (Fredi M. Murer, Kunstpreis der Stadt Zürich)
Landschaften, befragt, mit Einzel-Gänger (Christoph Egger, Laudatio Kulturpreis St.Gallen)
Kino zum Blättern? Jein! (Florian Keller)
Das grosse alte Nichts heraushören – und es geniessen (Adrian Riklin)
«Sans la musique, la vieserait une erreur» – Collages et ruptures pour Peter Liechti (Nicole Brenez)
Tönende Rillen (Josef Lederle)
The Visual Music of Swiss Director Peter Liechti (Peter Margasak)
A Cinematic Poetics of Resistance (Piero Pala)
Aus dem Moment heraus abheben – Peter Liechtis Filme (Bettina Spoerri, NZZ, 19.8.2008)
Sights and Sounds – Peter Liechti's Filmic Journeys, by Constantin Wulff
Letter from Jsaac Mathes
Passage durch die Kinoreisen des Peter Liechti (Constantin Wulff)
Gespräch mit Peter Liechti (Constantin Wulff)
Tracking Peter Liechti's cinematic journeys (Constantin Wulff)
Interview with Peter Liechti (Constantin Wulff)
Interview zu »Namibia Crossings«, in: Basler Zeitung, 23.9.2004
Dokumentarische Haltung. Zu »Hans im Glück«, in: NZZ, 2004
Jäger, Forscher oder Bauer, Interview von Irene Genhart mit Peter Liechti, Stehplatz, April 1996
Excursions dans le paysage, de Michel Favre, Drôle de vie, numéro 8, Dezember 1990
Duckmäuse im Ödland, von Marianne Fehr, WoZ Nr.21, 23.Mai 1990

  Diverses 
Gedenkanlass im Filmpodium Zürich -- in Vorbereitung

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*)
 Inhalt Peter Liechti: «Lauftext – ab 1985» 

Sprechtext zum Film AUSFLUG INS GEBIRG, 1985
Zwei Versuche aus dem Jahr 1987
«Unrast», Arbeitstexte zu MARTHAS GARTEN, 1988 ‑ 1989
Reisenotizen aus den USA, 1990
Logbuch 1995 ‑ 1997
Logbuch 1998 ‑ 1999
Reisenotizen aus dem Südsudan, 1999
Recherchen Namibia, Rohtexte zu NAMIBIA CROSSINGS, 1999
Erstes ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 1999
Logbuch 2000 ‑ 2001
Zweites ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 2000
Drittes ungekürztes Marschtagebuch zu HANS IM GLÜCK, 2001
Logbuch 2002
Logbuch 2003
Logbuch 2004
Logbuch 2005
Logbuch 2006
Logbuch 2007
Logbuch 2008
Logbuch 2009
Logbuch 2010 (bis Mai)


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