«Musizieren mit Alltagselektronik» Ella Kienast
Alltägliche Geräte unter neuen Gesichtspunkten - Klangräume von
Musikinstrumenten erweitern - Vergrössern des Wellenspektrums...
Scheinbar wahllos werden alte Plattenspieler, Resten elektronischer Spielzeuge,
alte Radios, Tonbandgeräte, Sender, Lautsprecher oder Akustikschalter, in
einer lockeren Gruppe aufgebaut. Nach Einschalten des Stroms beginnen Andy Guhl
und Norbert Möslang mit den Geräten zu spielen, indem sie sie manipulieren,
sie einzeln zu- und abschalten, Sender und Empfänger gegeneinander ausspielen.
Das Duo ist ständig in Aktion. Dieser optische Reiz der Bewegung der alten
Geräte und der Bewegung der Musiker ist ein faszinierendes, spannungsvolles
Element in KICK THAT HABIT, wobei es nahezu unmöglich ist, das Hervorbringen
bestimmter Töne/Geräusche mit dem Agieren der Künstler zu verbinden,
was den Filmemacher Liechti zu einem nicht minder faszinierenden Spiel mit der
Imagination des Zuschauers anstiftete.
Konzert für 1 Draht, 2 Spieler und Tonabnehmer
Quer durch die Halle von Wand zu Wand auf einer Länge von über 20 Metern
ist ein dünner Klaviersaitendraht aus Federstahl gespannt. Die lange Saite
läuft an beiden Enden über zwei Tonabnehmer, allerdings ungewöhnliche:
Es handelt sich nämlich um die winzigen Lautsprecher jener Billigelektronik,
die in den bekannten, in jedem Warenhaus erhältlichen singenden Geburtstags-
und Gratulationskärtchen vorhanden sind. Derart zweckentfremdet übertragen
die Abnehmer den Ton der schwingenden Saite über einen kleinen Verstärker
auf vier im Raum verteilte Lautsprecher. Die beiden Musiker befinden sich auf
einem Laufsteg und haben so die Möglichkeit, den Schwingungsweg der Saite
durch den Einsatz von Schultern und Händen permanent zu verändern. Gleichzeitig
versetzen sie die Saite mit Holz- und Metallstücken, mit konventionellen
Violinbögen, durch Zupfen, Schlagen, Reiben und Streichen in Bewegung - ein
Konzert, das Tonspiel und zugleich Schauspiel ist.
«Das Hauptanliegen der musikalischen Arbeit des Duos ist die Aktivierung
des Hörsinns», wie Museumskurator Lutz Tittel anlässlich einer
Musikaktion von Andy Guhl und Norbert Möslang im Städtischen Bodensee-Museum
bemerkte. «Sie greifen dabei nicht auf die klassische Tonalität der
europäischen Musik mit ihrem geregelten Ablauf zurück, sondern auf die
unendliche Vielfalt der Geräuschtöne. Sicher ist die Verwendung der
Abfallgeräte bei der Arbeit des Duos und dessen scheinbar modulationslose
und wenig aufeinander abgestimmte Musizierweise eine kritische Reaktion auf die
neue Welle elektronischer Musik (nach den Anfängen in den 50er Jahren, z.B.
mit Eimert, Stockhausen), bei der mit immer grösserem und komplizierterem
Technikaufwand (und der Einbeziehung von Computern) ausgefeilteste Stücke
produziert werden.»
Möslang/Guhl akzentuieren einzelne Partituren ihrer eigenwilligen und provozierenden
Klang- und Geräuschinszenierungen mit Titeln wie «Wellenbad»,
«Den Code brechen», «Laboratorium des Gehörs», «Geknackte
Alltagselektronik» oder «Bewegung hörbar machen» etwas,
was Peter Liechti zum Schluss von KICK THAT HABIT mit filmischen Mitteln aufnimmt
und im umgekehrten Sinne tut: Er macht Töne sichtbar - eine Symbiose namens
Tonfilm.
«Ein Dropkick der Sinne» Christoph Settele
Kick That Habit ist kein konventionelles Musiker-Porträt, keine psychedelische
Bebilderung von Recycling-Noise-Music, kein dokumentarisch aufgemotzter Videoclip,
sondern der Versuch einer subtilen Annäherung einer visuellen an eine akustische
Ausdruckswelt, die in eine raffinierte Synthese münden wird.
Wie der Titel des Films verspricht, steht die Infragestellung von Gewohnheiten,
Ordnungen und Mustern im Mittelpunkt, primär natürlich Gewohnheiten
des visuellen und akustischen Erlebens. Dass dieser Kick durch alle möglichen
Habits einer ereignislosen, kleinkarierten schweizerischen Realität zu einem
Erlebnis wird, ist allem voran der beeindruckenden Kameraführung von Peter
Liechti zu verdanken.
Das Porträt zweier Musiker, die aus AbfallElektronik neuartige Töne
recyclen, bildet den Ausgangspunkt einer hintergründigen Suche nach verlorenen,
zerstörten und ver-rückten Erlebnisbereichen. Proben und KonzertAusschnitte
der beiden Musiker Guhl und Möslang stehen visuellem Erinnerungs-Matedal
des Filmemachers gleichgewichtig gegenüber. Peter Liechti entlockt alltäglichen
Beobachtungen eine atmosphärische Endzeitstimmung, die auch in der Musik
vital spürbar ist. Diese autonomen Teile werden mit einem "Ausflug ins
Gebirge" zum Alpstein und einem anderen hinunter zum Bodensee verknüpft
zwei magische Eckpunkte, die das gemeinsame Herkunftsgebiet des Filmemachers und
der Musiker, die Ostschweiz, eingrenzen.
Wie die Musiker dem akustischen "Erbe" des zivilisatorischen Abfalls
auf der Spur sind, so rückt der Filmemacher dem durch die Freizeitindustrie
zerstörten Berg-Mythos visuell zu Leibe und entdeckt nurmehr eingekapselte,
hinter Glas verschanzte Ereignislosigkeit. Allein dem unergründlichen See
scheint durch die Kolonisation das Archaische nicht ganz abhanden gekommen zu
sein.
KICK THAT HABIT ist eine filmische und akustische Entdeckungsreise, die durch
den hohen Grad an sinnlicher Qualität besticht und stets neue Aspekte und
Sichtweisen ein- und desselben Gegenstands auf lustvolle Art vermittelt. Das Alltäglichste
wirkt befremdend und ver-rückt, erscheint in einem andern Licht, jenseits
definierter Ordnungen und bewegt sich somit stets an der Grenze zum Surrealen,
Magischen. Wie Guhl und Möslang die entwertete Alltagselektronik zu knacken
versuchen, so durchleuchtet Liechti die Orte und Objekte des Geschehens und ihre
visuelle Codierbarkeit. Bilder und Töne überlappen sich, ohne dass sie
sich gegenseitig augenfällig zu interpretieren versuchen. Es eröffnen
sich vielmehr Assoziationsfelder, die sich im Lauf der Zeit zu einem weitmaschigen
Ton-Bild vernetzen, das Blick und Ohr für eine Welt zu schärfen vermag,
hinter deren erstarrter Ordentlichkeit zugleich ihre Deformation und damit ihre
offene Form aufscheint.
Das fliessende Wechselspiel der sanften Annäherung von Visuellem und Akustischem
führt am Schluss zu einer spielerischen Verbindung: die Bilder erschaffen
sich ihren eigenen Ton durch lichtempfindliche Sensoren von Möslang und Guhl.
«Die Musik führt das Bild» von Ralph Hug, St.Galler Tagblatt,
1990
Als sich Peter Liechti, Autor von «Théâtre, de l'Espérance»,
«Ausflug ins Gebirg» und «Tauwetter», dazu entschloss,
einen Film über die vom Duo Möslang/Guhl entwickelte Kunst des Geräuschs
zu machen, hatte er keine dokumentarischen Absichten. Wohl sollte gezeigt werden,
wie aus elektronischem Abfall neuartige Klänge entstehen, mehr jedoch lag
ihm am Herzen, einen eigenständigen Film zu komponieren, der ins Bild setzt,
was er gleichzeitig auch als Ton transportiert.
«Ich habe einen ähnlichen Zugang zu meiner Bildwelt wie Möslang/Guhl
zu ihren futuristischen Klängen», sagt Liechti. Er, wie sie, möchte
in ihrem Arbeitsbereich einen Code knacken, durch den täglichen Abfall hindurch
eine neue Welt erschliessen.
In «Kick That Habit» («lege deine Gewohnheiten ab») nähert
sich Liechti der avantgardistischen Tonkunst des Duos in mehreren, Spannungsbögen
an. Dokumentarische Aufnahmen aus Live-Konzerten und der «Draht-Aufführung
wechseln mit Spielszenen ab, in denen Kunstier wie Peter Kamm, Alex Hanimann oder
Roman Signer für kurze Momente als Darsteller auftreten.
Hommage an Pasolini
In diesen wechselhaften Ablauf schneidet Liechti Bilder hinein, die einer eigenen
poetischen Logik folgen und den Rhythmus des Films bestimmen. Er endet, kaum erkennbar,
in einer privaten Hommage an Pier Paolo Pasolini: Mit dem tristen Bild seines
Grabsteins am Ort seiner Ermordung im proletarischen Vorort Ostia klingt das 45-minütige Werk aus. Die im Film übliche Hierarchie von Bild und Ton -
die Musik im Hintergrund kehrt Liechti um: Der Ton erhält eine leitende Funktion.
Alltag neu erfahren
So vermittelt Liechti ein dramaturgisch geschickt inszeniertes Wechselbad von
Gefühlen und Stimmungen: Intensität und Stille, Heftigkeit und Leere,
Geschwindigkeit und Ruhe. Ihm gelingen überraschende Bilder: eine winterliche
Bahnfahrt auf den Hohen Kasten, ein elegischer Ausflug ins Rheindelta und auf
den Bodensee zeigen vertraute Landschaften in gänzlich neuer (Hör)Perspektive
– Expeditionen ins Unbekannte, das zugleich Alltag und Heimat ist.